2001 Interview 2
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Interview mit Peter Lodermeyer, August 2001
P.L. Du hast erstmals 1999 Porträt-Serien angefertigt. Bis dahin waren deine Installationen ausschließlich Städten und Regionen gewidmet gewesen. Wie kam es zu dieser neuen Entwicklung?
R.R. Es war die logische Folge davon, dass ich zuvor an Serien gearbeitet hatte, mit denen ich versuchte, meine Beziehung zu den Gegenden auszudrücken, in denen ich jeweils lebte. Dabei wuchs bei mir das Bewusstsein, dass ich ja eigentlich nichts anderes als Porträts dieser Städte und Regionen machte. Es waren keine realistischen Darstellungen im üblichen Sinne, keine Landschaftsbilder, sondern Versuche, sozusagen den Charakter dieser Landschaften wiederzugeben, die Eindrücke zu vermitteln, die ich gewonnen hatte. Ich versuchte, meine Empfindungen dieser Regionen mit ihren optischen Reizen und mit dem, was ich dort fühlte, roch, schmeckte, hörte, einschließlich dem Erleben der Menschen dort, umzusetzen, all diese Eindrücke zusammenzufassen und in dem festzuhalten, was ich als eine Art Landschaftsporträt ansehe. Porträt - das heißt für mich, dass ich den Charakter oder die Atmosphäre der jeweiligen Region wiedergeben möchte. Und dabei kam ich fast zwangsläufig zu dem Gedanken, dass ich die gleiche Vorgehensweise natürlich gegenüber vielem anwenden könnte, was ich erlebe und empfinde. Am naheliegendsten sind für mich die Personen gewesen, die ich treffe. Ich versuche, die Ausstrahlung, die von einer bestimmten Person ausgeht, wiederzugeben. Und natürlich könnte ich auch eine Serie machen über meine Empfindungen gegenüber einem Gemälde. Ich erinnere mich gut an ein Bild von Chaim Soutine, ein Stillleben, das ein paar Sardinen auf einem Teller zeigt. Beim Betrachten entstand für mich eine sehr starke Beziehung zu diesem Gemälde – und ich könnte mir vorstellen, eine Installation zu machen, die diese Atmosphäre, d.h. meine Eindrücke bei seiner Betrachtung, wiedergeben soll.
P.L. Warum hast du diese Installation nicht gemacht?
R.R. Eigentlich bin ich aus reinem Zeitmangel noch nicht dazu gekommen, alle Themen in Angriff zu nehmen, die ich gerne behandeln möchte. Daher gibt es von mir bisher nur Porträts von Landschaften und von Personen.
P.L. Du bestehst also auf der Gattungsbezeichnung ”Porträt”?
R.R. Es ist für mich nur eine logische Fortsetzung des Gedankens, dass man Eindrücke und Emotionen, auf welche Art auch immer sie gewonnen wurden, versucht umzusetzen, auszudrücken und wiedererkennbar zu machen. Für mich macht es also keinen Unterschied, ob ich eine Serie anfertige, die sich auf eine Region bezieht oder eine, die einer Person gewidmet ist. Der Vorgang, die Tatsache des Empfindens, ist dabei sehr ähnlich.
P.L. Deine Porträt-Serien unterscheiden sich ganz erheblich vom traditionellen Porträtbegriff. Es geht nicht um das äußere Erscheinungsbild der ”dargestellten” Personen, sondern, wie bei deinen anderen Installationen auch, um die Umsetzung deiner subjektiven Erfahrungen, deines persönliches Erlebens dieser Menschen. Was heißt das genau?
R.R. Ehrlich gesagt glaube ich gar nicht, dass meine Porträts sich so weit vom traditionellen Porträtbegriff absetzen.Ich erinnere mich an einige wunderbare Porträts von Rembrandt oder von van Gogh, die meines Erachtens beide als Zielsetzung hatten, den Charakter der jeweiligen Person wiederzugeben, ihre Stimmungen, ihre Ausstrahlung. Natürlich haben sie versucht, dies im äußeren Erscheinungsbild der porträtierten Personen sichtbar zu machen, gewisse Anzeichen dafür in ihr Gesicht hineinzumalen, die wir als Zeichen für die Befindlichkeit dieser Menschen ”lesen” und empfinden können. Traurigkeit etwa wurde durch Pinselstriche sichtbar gemacht, die eine bestimmte Linienführung oder eine gewisse Farbe hatten, die uns diese Traurigkeit anzeigen und erkennbar machen sollen.
Ich versuche im Prinzip genau das gleiche, jedoch mit einer anderen Bildsprache. Meine Bildsprache ist abstrakt und arbeitet mit den formalen Werten Farbe, Form, Komposition, Material und Oberflächenstruktur. Wir leben in einer anderen Zeit und sind fähig, ein Bild anders zu lesen als zu Rembrandts Zeiten. Wir lesen eine Farbe nicht nur als Gegenstandsfarbe oder z.B. symbolisch. Ich bin der Meinung, dass wir uns dessen mehr bewusst sind, dass wir Farben auch rein emotional empfinden können. Und auch dessen, wie man das Material und seine Texturen verwenden kann, um Emotionen anschaulich zu machen. Es gibt zum Beispiel flache, langweilige Oberflächenstrukturen oder lebendigere, sympathische und unangenehme usw. Es gibt unwahrscheinlich viele Möglichkeiten, eine Emotion damit auszudrücken, dass man ein bestimmtes Material auf eine bestimmte Weise benutzt. Man hat ein anderes Empfinden, wenn man Ölfarben anschaut oder aber Acrylfarben, einen ganz anderen Eindruck, wenn man Beton sieht im Unterschied zu Glas usw.
Ich glaube, dass wir durch die Entwicklung, durch die Bildung, die wir als Betrachter von Kunstgegenständen durchgemacht haben, heute in der Lage sind, Bilder anders zu lesen, anders zu empfinden, und dass ich also den Charakter einer Person und meinen Bezug zu ihr mit anderen Bildmerkmalen abbilden kann. Dabei verwende ich oft gewisse minimalistische Bildmerkmale. Ich habe das Gefühl, dass es mir damit gut gelingt, Emotionen auszudrücken. Ich brauche das nicht mehr wie zu Rembrandts Zeiten mit einem einfühlsamen realistischen Pinselstrich zu tun oder einem expressiven Pinselstrich wie Vincent, der aber letztlich noch auf Gegenständlichkeit angewiesen ist.
P.L. Bei deinen Landschafts-Serien hat der Betrachter immer noch gewisse Anreize, landschaftliche Elemente zu assoziieren, entweder landschaftstypische Farben oder Linien, die z.B. als Horizont lesbar sind. In deinen Brabant Dezember 1998-Boxes kann man die Kälte, die Feuchtigkeit, den Nebel über dem Land sozusagen sinnlich wahrnehmen.
R.R. Ja, es ist wahr, dass bei meinen frühen Boxes tatsächlich oft noch visuelle Landschaftsassoziationen aufkommen konnten. Die Brabant Boxes vom Dezember 1998, die du ansprichst, sind wohl die letzten, in denen man einen Horizont lesen konnte und in die man noch so etwas wie die Zonen von Himmel und Erde hineininterpretieren konnte, obwohl diese Arbeiten keineswegs so gemeint waren. Nun, es hat tatsächlich bei mir eine schrittweise Entwicklung stattgefunden, die von figurativer, gegenständlicher Malerei nach und nach zur Abstraktion führte. Der Übergang ist bei meinen frühesten Boxes teilweise noch erkennbar oder zumindest spürbar. Meine Porträts gehören jedoch alle einer späteren Phase an, so dass da zwangsläufig nichts mehr direkt visuell assoziierbar ist.
P.L. Spielen gewisse äußerliche Merkmale der porträtierten Personen nicht doch eine Rolle für die Wahl deiner formalen Entscheidungen?
R.R. Ja, indirekt schon, wenn ich da zum Beispiel an die Boxes denke, die ich Clemens Briels gewidmet habe, der ja gewissermaßen immer sehr chaotisch aussieht. Da sind die Boxes auch entsprechend chaotisch geworden. Dennoch bin ich der Meinung, dass es doch mehr sein ganzes Verhalten ist, die Art, wie er sich gibt, wie er sich benimmt, was zu diesem, sagen wir optimistischen Chaos geführt hat. Aber da ist sicher auch etwas Visuelles hängen geblieben. Es ist schon klar, dass die kleine, kompakte Gestalt eines Joseph Kosuth auch dazu geführt hat, dass die ihm gewidmeten Boxes große Würfel, frontal gesehen starke Quadrate geworden sind. Die Form hat teilweise auch etwas mit seinem Äußeren zu tun, obwohl ich doch eher der Meinung bin, dass es zu dem Kubus und dem Quadrat gekommen ist, weil dies seinem Charakter so gut entspricht.
P.L. Aber ist das alles für den Betrachter deiner Installationen, der diese Personen nicht kennt, noch nachvollziehbar?
R.R. Dass der Betrachter möglicherweise die Art, wie ich eine Person darstelle, nicht mitempfinden, nicht richtig empfangen, nicht vergleichen kann, weil er sie gar nicht kennt, tut mir leid. Ich hoffe trotzdem, dass er, auch wenn er die Porträtierten nie getroffen hat oder von ihnen gar nichts weiß, wenigstens versuchen sollte, eine Atmosphäre in diesen Installationen wahrzunehmen und damit etwas zu bemerken, was auf diese Menschen referiert. Ich bin sicher, dass das auch gelingen kann. Ob das dann die von mir angestrebte Atmosphäre ist, kann ich natürlich nicht wissen. Verschiedene Menschen in verschiedenen Ländern, mit verschiedenen Hintergründen, werden natürlich unterschiedlich auf meine Installationen reagieren. Nicht jeder wird die Atmosphäre wahrnehmen, die ich eigentlich erzeugen wollte. Aber entscheidend ist, dass dennoch stets eine Kommunikation stattfindet. Dass dabei nicht immer genau das ankommt, was ich sagen wollte, tut mir leid. Aber das ist nicht ungewöhnlich, das wird wohl immer so gewesen sein. Wir wissen ja auch nicht, ob wir ein Porträt oder ein Selbstporträt von van Gogh genau so verstehen, wie er es gemeint hat.
P.L. Aber man muss es bei dir erst im Titel lesen, dass es sich um ein Porträt handelt, man sieht es den Boxes selbst nicht an. Ist das nicht ein erheblicher Unterschied, vielleicht sogar ein Nachteil gegenüber der figurativen Porträtmalerei?
R.R. Ein Nachteil? Ich würde eher sagen, ein Vorteil. Ich bin der Meinung, dass figurative Darstellungen nicht so gut das Wesentliche eines Charakters wiedergeben können. Meine Darstellung soll ja nicht das Optische, Sichtbare wiedergeben, es soll das Emotionelle, Nichtsichtbare veranschaulichen. Und wenn ich dabei figurative Merkmale verwenden würde, würden sie eher ablenken von dem, worum es mir eigentlich geht. Ich will ja den Charakter der anderen Person, den Bezug zwischen ihr und mir, d.h. den Eindruck, den sie auf mich gemacht hat, zum Ausdruck bringen. Ich glaube nicht, dass figurative Elemente mir dabei behilflich sein würden, das zu thematisieren, was nicht visuell erfahrbar ist. Obwohl natürlich auch visuelle Eindrücke einen Einfluss darauf haben können, wie meine Installationen letztendlich gestaltet werden. Aber es ist nur ein kleiner Teil des Einflusses auf meine Wahl von Farbe, Form, Komposition, Oberflächenstruktur und Material. Vielmehr ist die Atmosphäre, die ich bezüglich dieser Person wahrnehme, von Wichtigkeit. Dass man auf den ersten Augenblick nicht sieht, dass es sich um Porträts handelt und man erst über den Titel erfährt, regt die Betrachter hoffentlich zum Nachdenken darüber an, dass es sich hier wohl um eine andere Art von Porträt handelt. Ich hoffe, dass diese Menschen intellektuell angeregt werden, zu überlegen und auch zu spüren, was hier zum Ausdruck kommt. Das Nichtvorhandensein der figurativen, repräsentativen Merkmale, die eine visuelle Erfahrung darstellen, empfinde ich überhaupt nicht als Nachteil. Ich bin der Meinung, dass ihr Fehlen weniger irreführend ist und dem Betrachter fast keine andere Wahl lässt, als es hier nur um emotionale Werte gehen zu lassen und nur eine vielschichtige Atmosphäre wahrzunehmen.
P.L. Oberflächlich gesehen erkennt man keinen wesentlichen Unterschied zwischen deinen Installationen, die sich auf Städte und Gegenden beziehen, und den Porträt-Serien. Doch bei genauerer Betrachtung fällt auf, dass die einzelnen Boxes bei den Porträts im allgemeinen sehr viel weniger unterschiedlich ausfallen. Denkt man etwa an die Lawrence Weiner- oder die Tomoji Ogawa-Serien, so ist die Differenz zwischen den einzelnen Boxes äußerst gering, verglichen mit gewissen Landschafts-Serien, bei denen die farblichen und kompositorischen Eigenschaften von Box zu Box zum Teil erheblich differieren. Was ist der Grund für diese Einheitlichkeit der Porträt-Serien?
R.R. Das ist mir selbst noch gar nicht einmal so bewusst geworden. Aber du hast Recht, es ist tatsächlich so, wie du sagst. Die einzige Erklärung, die ich dafür geben kann – vielleicht sind es zwei Erklärungen – ist, dass eine Region für mich vielfältigere Eindrücke hinterlässt. Eine Region besteht aus vielen, vielen Facetten, da sind die Landschaft, die Einwohner, die Gebäude, das Klima usw. Das ergibt sehr viele verschiedene Aspekte, denn ich betrachte eine Landschaft ja nicht nur von einem Standpunkt aus. Nehmen wir z.B. eine Serie wie ”Germany Saarland”: Das Saarland ist ja ein größeres Gebiet mit viel Natur, aber auch mit den Resten und Folgen der Schwerindustrie und des Bergbaus. Ich habe dort über einen längeren Zeitraum viele Informationen verarbeitet, viele Eindrücke gesammelt, und das schlägt sich in den Unterschieden zwischen den einzelnen Boxes nieder. Das ist das eine. Zweitens: Einige der Personen, die ich porträtiert habe, habe ich nur einige Male getroffen. Das heißt, ich war nicht so lange mit ihnen zusammen, habe sie nicht so intensiv erlebt, wie das bei einer Region meistens der Fall war. In den verschiedenen Gegenden, die ich in meinen Installationen dargestellt habe, habe ich teilweise monatelang gelebt. Aber einige der Porträtierten, z.B. Nobuyoshi Araki, habe ich nur dreimal getroffen, habe nur ganz kurz mit ihm gesprochen, weil er zu wenig Englisch spricht und ich zu wenig Japanisch. Mithin ist ein Porträt, eine Wiedergabe meines Eindrucks von einer Person, sozusagen eine Momentaufnahme, während die landschaftlichen Darstellungen sich doch meist auf längere Zeiträume beziehen.
P.L. Aber es gibt auch Landschaftsserien von dir, bei denen das Farbspektrum sehr eng begrenzt ist.
R.R. Ja, das gilt zum Beispiel für alle Serien, die ich über Brabant mache. Das ist die Gegend, in der ich aufgewachsen bin, deshalb kenne ich sie sehr gut. Ich merke, dass ich da relativ schnell zu einer einheitlichen Darstellung komme. Diese Region ist auch nicht so interessant, sie ist ja nicht neu für mich, und daher ist es auch eine sehr einheitliche, fast langweilige Angelegenheit, was ich da ausdrücke, wohingegen Miami Beach für mich eine äußerst lebendige, schnelle, vitale Atmosphäre verkörpert, die ich nur mit Hilfe verschiedenster Farben wiedergeben kann. Dies gilt vor allem für eine meiner letzten Serien mit dem Titel ”Little Haiti”. Das ist der Stadtteil von Miami, in dem ich jetzt mein Atelier habe. Die meisten Menschen dort kommen aus Haiti. Es ist ein sehr lebendiges, quirliges Viertel, ein Punkt, an dem unheimlich viel geschieht, wo die Leute von Natur aus vital und offen sind und deren Charakter auf mich sehr farbig, lebhaft und interessant wirkt. Ich kann das nicht anders als mit einer breiten Farbpalette und mit vielen Buntwerten umsetzen. Natürlich haben die Farben eine gewisse Basis, eine bestimmte Richtung, aber es bedarf vieler unterschiedlicher Töne, um diese Atmosphäre auszudrücken, während ich bei Netherlands Brabant die Farben viel enger zusammenlegen kann.
P.L. Zurück zu den Porträts: Bisher hast du ausschließlich Künstlerkollegen porträtiert, sowohl sehr berühmte als auch eher unbekannte. Warum nur Künstler? Wird es auch noch Porträts von Nichtkünstlern geben?
R.R. Das ist natürlich kein Zufall. Einer der Gründe ist, dass es mich immer sehr interessiert, die Arbeit eines Künstlers in Bezug zu seiner Persönlichkeit zu sehen. Damit beschäftige ich mich bis heute noch immer sehr intensiv, besonders, wenn ich jemanden persönlich treffe, dessen Arbeit ich bereits kennengelernt habe. Ich will immer wissen, warum macht dieser Mensch diese bestimmte Art von Arbeit, wie kommt er dazu, wie steht er dazu, wie hat sich das entwickelt? Es kann durchaus sein, dass ich einmal Porträts von Leuten machen möchte, die nicht künstlerisch tätig sind, oder sogar, wie schon erwähnt, von dem Erlebnis der Betrachtung eines Kunstwerks. Für mich war die Begegnung mit Künstlern, bekannten und unbekannten, erst einmal am interessantesten. Ich treffe ja fast auch niemand anderes als Museumskuratoren, Galeristen und eben Künstler. Das sind schon 90 Prozent der Menschen, mit denen ich überhaupt zu tun habe. Und zu den Künstlern habe ich ja auch keine beruflich-geschäftlichen Beziehungen. Mit Kuratoren oder Museumsleuten geht es meist um organisatorische Fragen, aber wenn ich Künstler treffe, geht es doch fast immer um kreative Inhalte, um Inhalte, die die Kunst und den Künstler selbst betreffen. Und so erfahre ich dann viel mehr über die jeweilige Person, als das z.B. bei einem Galeristen der Fall wäre.
P.L. Ich möchte nun gerne etwas eingehender über die einzelnen Serien sprechen. Die ersten Porträt-Boxes überhaupt entstanden im April und Mai 1999 in Tokio und sind den weltberühmten Konzeptkünstlern Joseph Kosuth und Lawrence Weiner gewidmet, die du dort kennenlerntest. Ist das reiner Zufall gewesen?
R.R. Ja, das war ein bloßer Zufall. Es war im April/Mai 1999 in Tokio, da traf ich erst Joseph Kosuth und eine Woche später dann zum ersten Mal Lawrence Weiner. Das war natürlich eine tolle Chance für mich, beide unabhängig voneinander recht gut kennenzulernen. Und dann gerade auch in Tokio, wo alle Ausländer sozusagen aufeinander kleben und gerne etwas zusammen unternehmen, weil man eben dieselbe Sprache spricht. Das war für mich äußerst interessant, weil sich ja beide Künstler schon seit 30 Jahren kennen, ungefähr im gleichen Alter sind, sich aus einer ähnlichen Denkweise heraus entwickelt haben, einen ähnlichen künstlerischen Ansatz verfolgen und doch so unterschiedliche Persönlichkeiten sind. Ja, das waren schon ein paar interessante Tage und Nächte, die ich dort mit Joseph Kosuth verbrachte. Ich kannte seine Arbeit schon recht gut, denn ich hatte mich zwei, drei Jahre vorher damit beschäftigt, als ich noch in Südfrankreich lebte. In Tokio waren wir eigentlich rein privat unterwegs. Ich besuchte mit Kosuth einige Bars und Diskotheken und da konnte ich ihn ganz anders erleben, als man ihn von seiner konzeptuellen Arbeit her einschätzen würde.
P.L. Aber ihr habt doch wohl auch über Kunst geredet? Was für einen Eindruck hattest du von ihm?
R.R. Keine Frage, dass er einen intellektuell äußerst fähigen Eindruck bei mir hinterlassen hat. Über jedes Thema, zu dem ich ihn befragte, hatte er gründlich nachgedacht und zweifellos schon sehr oft darüber debattiert. Vielleicht waren meine Fragen nicht tiefgehend genug, aber er weiß sehr genau, wovon er spricht und hat ein ganz klares Bewusstsein davon, warum er bestimmte Sachen macht. Da gibt es keinen Zufall bei ihm, da sind strenge Überlegungen dahinter. Und was er in der Kunstwelt erlebt hat, das ist einfach ein Schatz an Erfahrungen, zu dem ich nur sehr wenig hinzufügen kann. Ich konnte nur versuchen, etwas dazu zu sagen. Dieser Mann weiß einfach, was er getan hat. Er ist sich seiner Existenz als der Konzeptkünstler Joseph Kosuth, der Existenz und Bedeutung seiner Arbeit sehr bewusst.
P.L. Du hast mir einmal erklärt, die rote Untermalung der weißen Kosuth-Boxes verweise auf seine unbändige, ”feurige” Persönlichkeit. Hast du ihn als jemanden erlebt, dessen Intellektualität nur die Außenseite ist, die eine andere Schicht verdeckt?
R.R. Er muss in den letzten dreißig Jahren unwahrscheinlich hart gearbeitet, sich wahnsinnig intensiv mit seiner Arbeit beschäftigt haben. Er hat eine erstaunliche Energie, einen unglaublichen Willen zu erleben, zu sehen, zu empfangen, aber auch etwas auszudrücken und geschehen zu lassen. Und diese Energie hat er womöglich in seine konzeptuelle Kunst gesteckt und nicht in seine sinnlichen Wünsche als Mensch. Und an den paar Abenden, an denen wir gemeinsam im Tokioter Nachtleben ausgegangen sind, erlebte ich, dass der Mitbegründer (er selbst nannte sich ironisch den Großvater) der konzeptuellen Kunst ein unwahrscheinliches Bedürfnis hat, exzessiv zu erleben. Ich habe viele tolle, orgiastische Nächte gefeiert in meinem Leben. Aber so wie Kosuth es versteht, zu erleben, diese Dynamik und Intensität des Lebens zu entwickeln – das ist lange her, dass ich so jemanden gesehen habe. Gleichzeitig hat mir zu denken gegeben, dass er das Gefühl hatte, möglicherweise zu wenig erlebt zu haben im Leben. Weil er zuviel oder ausschließlich mit seiner Arbeit beschäftigt ist und seine sexuellen Triebe, Wünsche, Träume zu wenig hat ausleben können. Ich möchte noch vieles erleben, auf intellektuellem, emotionellem und sexuellem Gebiet. Und mir wurde durch dieses Treffen mit Joseph Kosuth noch mehr bewusst, dass man das nicht vergessen und nicht auf morgen verschieben sollte. Weil man möglicherweise sonst das Gefühl bekommt, dass man gestern eine Chance, etwas zu erleben in der Welt, nicht wahrgenommen hat. Und so gestaltete ich die Joseph Kosuth-Boxes mit einem feurigen, dynamischen Untergrund. Sie wurden erst im Ganzen rot gefärbt, und dann habe ich ein ”konzeptuelles” Weiß darüber gemalt. Und ich hoffe, dass dieses Weiß später Risse bekommt, Krakelees, dass es durch die Alterung aufbricht und der feurige, sinnliche Untergrund dieses Menschen hervorkommt. So wie er bei Joseph Kosuth in einigen Momenten hervortritt, wenn man ihn trifft, wenn man ihn kennt. Vielleicht könnte man ihn am besten als ein intellektuelles Tier beschreiben, als einen animalischen Intellektuellen.
P.L. Du hast gerade das Thema Sex angesprochen. Worin besteht der Bezug zur Kunst? Bei Nobuyoshi Araki wie bei Yayoi Kusama, auf die wir nachher noch zu sprechen kommen, ist die Sexualität ganz offensichtlich die Triebfeder ihrer künstlerischen Arbeit, wie für viele andere Künstler auch. Das sagen so unterschiedliche Leute wie Gilbert & George oder Mike Kelley. Sean Scully, ein Maler, den wir beide sehr schätzen, vergleicht den Akt des Malens mit dem Geschlechtsakt.
R.R. Für mich ist es keine Frage, dass ein wichtiger Bestandteil der ganzen Kraft, der Dynamik in mir als Person, die hinter diesem Schaffensdrang steht, das Streben nach sexuellen und erotischen Erlebnissen ist. Die Triebfeder in mir als Künstler und als Mensch ist ganz sicherlich zunächst einmal ein Erlebenwollen, ein Erlebnisdrang ganz allgemein. Das bezieht sich auf intellektuelle Erfahrungen, auf emotionale Erfahrungen überhaupt und eben auch auf erotische und sexuelle Erfahrungen.
P.L. Wie drückt sich das in deinen Installationen aus? Du hast früher zwar weibliche Akte gemalt, doch dann verschwand mit deinen frühen Landschaftsbildern und erst recht mit deinen Installationen von Boxes die Thematik des Erotischen offenbar aus deiner Kunst. Glaubst du, dass deine Boxes mit ihrer abstrakten Formensprache auch eine erotische Atmosphäre thematisieren könnten?
R.R. Ich würde das nicht so sagen, dass das Erotische aus meiner Arbeit verschwunden ist. Tatsächlich ist nur das unmittelbar visuell Wahrnehmbare dieser Thematik aus meiner Arbeit verschwunden. Aber die weiblichen Akte, die ich gemalt habe, thematisierten nicht unbedingt Sex, sondern bezogen sich auf die Person insgesamt. Bei den Porträtserien, die ich jetzt mache, geht es auch um Persönlichkeit. Sie stellen sozusagen die Person ohne Kleider dar, legen ihren Charakter, den Bezug zwischen mir und ihr offen. So haben das auch meine früheren weiblichen Akte getan. Die jeweilige Frau saß da ohne Kleider, nicht unbedingt um des Sex willen, obwohl einige dieser Frauen, die ich porträtiert haben, Sexualität ausgestrahlt haben. Und dann habe ich sie auch so dargestellt. Aber das gilt etwa auch für das Porträt von Nobuyoshi Araki. Es ist für mich ein Werk, das auch das Thema Sex, Erotik, Fleisch behandelt. Es geht natürlich nicht um meine sexuellen Gefühle, aber Araki repräsentiert für mich Sex und so haben es auch manche meiner weiblichen Akte getan. Das bedeutet nicht unbedingt, dass ich mich sexuell von ihnen angezogen gefühlt habe. Aber sie haben für mich das Sexuelle repräsentiert. Ich bin überhaupt nicht der Meinung, dass diese Thematik aus meiner Arbeit verschwunden sind. Auch das Porträt von Joseph Kosuth ist für mich, wie ich schon sagte, eine durchaus erotische Angelegenheit. Natürlich nicht in dem Maße wie das von Nobuyoshi Araki.
Du hast insofern schon Recht, als ich nie eine Installation gemacht habe, die sich auf eine erotische Frau bezieht. Aber das ist reiner Zufall. Ich bin in letzter Zeit niemandem nah genug begegnet, um den Wunsch zu haben, solch eine Installation anzufertigen. Ich habe so jemanden bisher einfach nicht getroffen. Übrigens kann ich mir ohne weiteres vorstellen, dass ein erotisches Element vielleicht auch in einer Landschaftsserie möglich ist, weil Sex und Erotik in bestimmten Gegenden ein wichtigerer Bestandteil der Erfahrung sind als in anderen. Ich glaube also schon, dass sie auch in zukünftigen Arbeiten von mir wichtige Bestandteile der Emotionen sind, die ich ausdrücken möchte. Und ich hoffe doch sehr, dass meine Installationen dies veranschaulichen können.
P.L. Sprechen wir über die Lawrence Weiner-Boxes. Sie erinnern mit ihrer blauen Farbe sehr an Yves Klein. War das beabsichtigt? Und was hat es zu bedeuten, dass dies die einzige Serie ist, bei denen die Boxes an den Seiten offen sind?
R.R. Das Zusammentreffen mit Lawrence Weiner war für mich dem Erlebnis Joseph Kosuths ganz entgegengesetzt.Ich traf Weiner öfter, sprach mit ihm mehrere Male und hatte mir eigentlich intellektuell viel, viel mehr von ihm erhofft. Entweder war er mir gegenüber nicht bereit, wirklich nachzudenken oder seine Gedanken in Worten auszudrücken oder aber sie waren gar nicht richtig vorhanden. Auf jeden Fall: Außer ein paar banalen Statements über die japanischen Mädchen und einigen – so schien es – undurchdachten Äußerungen über seine Arbeit und die Arbeit einiger anderer Künstler kam da nichts. Und von daher wählte ich für ihn eine an der Oberfläche schöne Farbe – und für mich ist das Yves Klein Blau etwas, was bewusst optisch schön wirken soll, kitschig schön. Ich habe mich nicht getraut, alle wirklich in reinem Yves Klein Blau zu machen. Es sind doch noch einige Nuancen da hineingekommen und so sind es verschiedenste Blaus geworden. Der Basisgedanke war, dass Weiner an der Oberfläche, also so, wie man ihn von seiner Arbeit kennt und vielleicht, wenn man ihn das erste Mal trifft, schön im intellektuellen Sinn erscheint. Aber als ich da weiter gegraben habe, bin ich der Meinung gewesen, war das Ganze eher hohl. Möglicherweise waren vor zwanzig, dreißig Jahren die Gedanken wirklich da. Entweder hat er sie vergessen oder was auch immer – sie waren, so schien mir, nicht mehr vorhanden. Und von daher sind die Weiner Boxes die einzigen, die ich bisher gemacht habe, die an der Oberfläche schön anzusehen sind und an den Seiten offen, damit man das leere Innere sieht. Da war halt hinter der schönen Oberfläche nichts zu sehen.
P.L. Ist das nicht sehr ungerecht? Es könnte ja sein, dass er einfach nicht in der Stimmung war, dir genaue Auskunft über sich und seine Arbeit zu geben...
R.R. Natürlich. Ich gebe ja nur meine subjektive Sicht wieder, wie ich eben sagte: eine Momentaufnahme. Wenn ich Lawrence Weiner noch einmal sehe, werde ich ihn in ein Café einladen und versuchen mit ihm ins Gespräch zu kommen. Dann werde ich vielleicht meine Auffassung völlig korrigieren müssen. Und dann bin ich gerne bereit, ein neues Porträt von ihm zu entwerfen, das dieser neuen Sicht Ausdruck verleiht.
P.L. Ebenfalls 1999 in Tokio entstanden zwei Serien, die sehr berühmten japanischen Künstlern gewidmet sind: Nobuyoshi Araki und Yayoi Kusama. Beide Serien sind in sehr fleischlichen Orange- und Hauttönen gemalt. Araki ist in den letzten Jahren wegen seiner Bondage-Fotografien in Europa sehr umstritten gewesen. Beziehen sich die Farben deiner Boxes auf die bekannte erotische Obsession Arakis?
R.R. Araki ist für mich ein gutes Beispiel für jemandem, dessen künstlerische Arbeit sich wirklich zu hundert Prozent mit seiner eigenen Persönlichkeit deckt. Nobuyoshi Araki ist Sex, verkörpert Sex. Er hat aus seinen Wünschen und Träumen seine künstlerische Arbeit gemacht. Und seine Fotografie vertritt diese Wünsche und Träume. Als ich ihn zum ersten Mal traf, war ich in Begleitung meiner japanischen Freundin. Ich stellte sie ihm vor – und er sagte sofort auf Englisch zu ihr: ”Hi, I want to stick my finger inside!” Und man glaubt es ihm! Er genießt es voll und ganz, sich ausleben zu können. Er lebt für Sex, er lebt für Fleisch, für Genuss. Er lebt exzessiv, und er stellt das dar in seiner künstlerischen Arbeit. Araki ist Sex und er bringt Sex zum Ausdruck. Und von daher habe ich natürlich nichts anderes als Fleischfarben für sein Porträt wählen können. Die Boxes haben einen schmalen gelben Streifen bekommen, weil Araki für mich einfach eine Sonne ist, eine lebendige Sonne, eine sonnige Erscheinung in dem manchmal grauen und monotonen Japan.
P.L. Auch bei Yayoi Kusama steht das Thema Erotik und Sexualität sehr im Vordergrund ihrer Kunst. Auch dazu passt ja der fleischliche Eindruck der Farbe in deinen Boxes. Doch dieser Eindruck wird durch die strengen gitterartigen Streifen völlig neutralisiert. Als ich diese Serie zum ersten Mal sah, dachte ich sogleich daran, dass Yayoi Kusama, die große alte Dame der japanischen Kunst, seit vielen Jahren in einer psychiatrischen Anstalt lebt. Sollen diese ”Gitterstäbe” auf eine isolierte, problematische Persönlichkeit hinweisen?
R.R. Nein, diese schmalen Streifen sind keine Gitterstäbe. Sie haben nichts damit zu tun, dass Kusama seit einigen Jahren unter Beobachtung in einer Klinik lebt, weil sie offenbar nicht mehr imstande ist, ganz allein zu existieren und daher Betreuung braucht. Das erste, was mir jedes Mal, wenn ich sie traf und mit ihr sprach - sie spricht ja hervorragend Englisch – direkt auffiel: Sie ist fragil. Die große Kusama, die viele Kunstereignisse veranstaltet hat und selbst Teil der Kunstszene gewesen ist, die eine unwahrscheinliche Dynamik gehabt hat, die äußerst unbekümmert, fast naiv an die Sache herangegangen ist, mit vielen bedeutenden Künstlern zusammengetroffen ist, diese große Yayoi Kusama ist so zerbrechlich! Und das hat zu den zartesten, fragilsten, kleinsten Boxes geführt, die ich bis jetzt gemacht habe. Die Fragilität dieser Grande Dame, die sich in ihren Worten zeigt, darin, wie sie sich bewegt, wie sie spricht, wie sie auch heute noch arbeitet, kann einem nicht entgehen. Das ist so beeindruckend. Man trifft selten jemanden, der nach Jahren zwar noch gar nicht so alt, aber doch schon so fragil ist. Und diese gitterartigen Streifen und die äußerst zart gewählten Farben sollten dies vermitteln. Ich empfinde diese Streifen keineswegs als streng, sondern als brüchig, zittrig, zerbrechlich...
P.L. Bei Clemens Briels, Bram Bogart und Tomoji Ogawa handelt es sich um Künstler, die nicht bzw. noch nicht so sehr bekannt wie die, von denen wir bisher sprachen. Wie es scheint, bezieht sich die Gestaltung der ihnen gewidmeten Serien mehr auf das Werk dieser drei als auf ihre Persönlichkeit: Die leuchtendgelbe Farbigkeit bei Briels entspricht, denke ich, der heiteren, etwas naiven Erscheinungsweise seiner poppigen Malerei; die sehr pastos aufgetragene Farbe ist sozusagen das Markenzeichen von Bogart und die mattweißen Boxes der Ogawa-Serie entsprechen ganz seiner meditativ und ruhig daherkommenden Kunst. Hast du über die Freundschaft bzw. Bekanntschaft mit diesen sehr unterschiedlichen Künstlern hinaus von ihnen auch etwas für deine eigene Arbeit gelernt?
R.R. Es ist bisher so gewesen, dass alle meinen Installationen, die sich auf Personen beziehen, zugleich auch auf ihre künstlerische Arbeit Bezug nehmen. Die Persönlichkeit eines Künstlers ist meistens auch in seiner Arbeit erkennbar, sprich: die Arbeit, die ich von ihnen sehe, vermittelt meistens ähnliche Eindrücke wie die Person des Künstlers selbst sie vermittelt. Insofern ist das natürlich schwer zu trennen, das ist ein nahtloser Übergang - mit Ausnahme vielleicht der David Salle Boxes, da ich wirklich so enttäuscht war von ihm als Person, dass ich nicht viel weiter gekommen bin, als lauter fast vollständig schwarze Boxes zu machen, obwohl seine Arbeit mich optisch eigentlich immer angesprochen hatte. Es ist selbstverständlich so, dass ich von den Begegnungen mit den Künstlern, von denen ich ein Porträt gemacht habe - inklusive David Salle -, etwas lerne, natürlich auch von ihren Arbeiten. Manchmal nehme ich mir weniger, manchmal mehr für mich heraus – aber ich nehme immer etwas mit. Am liebsten stehle ich alle ihre tollen, guten Gedanken und Erfindungen und Ausdrucksweisen. Wenn ich etwas stehlen kann, was sie gefunden haben und ich mich darin wiederfinden kann, ist das toll. Ich kann mich darüber freuen, dass ich diese Gedanken, die sie geboren haben, übernehmen kann und sie mir zu eigen werden. Ich empfinde genau das als Lernen. Manchmal finde ich viel bei anderen, was ich lernen, was ich stehlen kann und manchmal ist es halt fast nichts.
Bei Bram Bogart war es einiges, was ich lernte. Als ich zum ersten Mal Arbeiten von ihm sah, das war 1995, haben mich ihre Materialität und sein Bewusstsein der Materialverwendung sehr beeindruckt. Später traf ich Bogart einige Male, und in den Boxes, den Installationen, die ich dann von ihm machte, wollte ich absichtlich nicht zu pastos arbeiten, denn das schien mir zu offensichtlich. Vielleicht wollte ich es aus dem damaligen Respekt heraus gegenüber dem, was ich von ihm gelernt habe, nicht zu direkt für die Installationen verwenden, die sich auf ihn beziehen. Aber ich danke ihm sehr für den bewussten Umgang mit dem Material, für alles, was er mir zum Thema Materialwahl und Materialverwendung mitgegeben hat.
Auch die meditative Qualität der Arbeiten von Ogawa hat mich sehr beeindruckt. Sie hängt mit seiner Fähigkeit zusammen, im Gestalten um seiner selbst willen, nicht so sehr im Resultat, den eigentlichen Wert seiner Arbeit zu sehen. Und diese Gestaltung vollzieht sich mit äußerster Sorgfalt und Konzentration. Obwohl es diese Haltung natürlich auch anderswo gibt, habe ich sie doch des öfteren bei japanischen Künstlern bemerkt, aber ganz besonders bei Ogawa. Er ist sich der japanischen Wurzeln seiner Kunst sehr bewusst. Seine ungemein sensible Art des Arbeitens hat mir selbst einen neuen, anderen Blick auf meine eigene Kunst ermöglicht.
Aber was das Porträt von Clemens Briels angeht: Aus seinen Bildern habe ich eigentlich gar nichts lernen können, außer der klaren Erkenntnis, dass ich nicht so arbeite und nie so arbeiten möchte wie er. Aber ich muss sagen, dass es für mich ein wahres Vergnügen war und ist, einen so optimistischen Chaoten erleben zu dürfen.
P.L. Was hat dich dazu bewogen, Brice Marden, diesem stark von fernöstlicher Kultur inspirierten amerikanischen Maler, eine Serie von Boxes zu widmen, deren Farbigkeit auf wenige Sand- und helle Erdtöne reduziert ist und deren Textur durch grobe, reliefartig aufgetragene Gipsschichten dominiert wird? Ein direkter Bezug zu den Arbeiten dieses Künstlers ist ja hier nicht zu erkennen.
R.R. Ja, es war für mich interessant, Brice Marden wiederzusehen. Das war im Januar 2000 in Miami, da habe ich ihn kurz gesehen. Ich kannte ihn sozusagen schon aus der Entfernung, weil er Jahre zuvor auf der griechischen Insel Hydra mein Nachbar gewesen ist. Als er in Miami eine Soloausstellung hatte, trafen wir uns erneut, und nun konnte ich ihn von einen anderen Standpunkt aus wahrnehmen. Inzwischen war ich selbst als Künstler gereifter und ich hatte mich auch mehr mit seiner Arbeit beschäftigt. Obwohl Brice Marden in meinen Anfangsjahren für mich sicher ein sehr bestimmender Künstler gewesen ist, mit dem ich mich intensiv beschäftigte, habe ich in den letzten Jahren doch feststellen müssen, dass meine Begeisterung für seine Arbeit abnimmt und ich den Bezug, den er selbst zur fernöstlichen Kultur herstellt, nicht ganz nachvollziehen kann. Aber als Mensch hat er mich sehr beeindruckt.
P.L. Spielt auch sein Äußeres eine Rolle dabei? Er ist ja ein schöner Mann, fast wie ein Filmstar.
R.R. Ja, aber dennoch auf eine zunächst etwas grob und rau wirkende Weise. Ich wollte ihn als jemanden darstellen, der nach außen doch einen etwas grobschlächtigen Eindruck machen kann, und dennoch wählte ich sanfte Erdtöne, sandige Farben für ihn, weil er doch ein sanftmütiger Mensch ist. Und diese Sanftheit ist etwas, was sich in seiner Arbeit widerspiegelt. Er ist ein lebendiger, freundlicher Mensch, dem ich zwar nicht mehr so ganz den intellektuellen Bezug zur fernöstlichen Kultur glauben kann. Doch was für mich zählt, ist diese Sanftheit, eine eigenartige, sozusagen ”grobe Sanftheit”, von der ich denke, dass sie in seiner Arbeit ebenso wie in seinem Charakter sichtbar wird – und hoffentlich auch in der Porträtserie, die ich von ihm gemacht habe.
P.L. Du betonst immer wieder, dass deine Kunst Ausdruck deiner Existenz sei und beharrst auf dem subjektiven Charakter deiner Boxes. Wäre es vor diesem Hintergrund nicht folgerichtig, ein Selbstporträt zu machen? Hast du jemals mit dem Gedanken an eine René Rietmeyer-Serie gespielt?
R.R. Ich habe natürlich oft darüber nachgedacht, ein Selbstporträt zu machen, und ich glaube, es wird auch dazu kommen. Das liegt natürlich auf der Hand, und ich beschäftige mich schon seit Jahren mit diesem Gedanken. Vielleicht habe ich es deswegen noch nicht getan, weil ich sehr sorgfältig überlegen muss, wie ich mich selbst sehe. Ich will dabei möglicherweise das Gefühl haben, dass ich nicht mit dem Material experimentieren muss, ich möchte lieber ein Material haben, von dem ich sicher bin, welche Wirkung es erzielt. Ein großer Teil meiner Arbeit sonst ist doch sehr experimenteller Natur. Ich bin mir von vornherein nicht immer bewusst, ob ich bestimmte Zielsetzungen auch erreiche. Aber ich möchte, wo es um mich selbst geht, versuchen, mein Ziel sehr wohl zu erreichen. Aber vielleicht sollte ich diese Bedenken auch einfach lassen und mit mir selber experimentieren und es in Kauf nehmen, wenn eine Selbstdarstellung nicht den Effekt erzielt, den ich mir vorstelle. Vielleicht ist es auch nur Feigheit - oder vielleicht bin ich mir noch nicht ganz im klaren darüber, wie ich mich selbst sehe. Ich weiß zwar ungefähr, wie ich mich selbst gerne sehen möchte, aber bin ich auch so? Erlebt man mich so, erlebe ich mich selbst wirklich so? Die letzen Jahre waren eine sehr ungewisse Zeit, was die Entwicklungen in meinem Denken und in meinem Leben betraf. Jetzt, im Jahr 2001, sieht es so aus, als ob es mir gelingt, meine Lebensumstände langsam zu stabilisieren, und es hat sich sichtlich auch mein intellektuelles Gedankengut, alles was meine Arbeit und meine Existenz als Künstler betrifft, stabilisiert und gefestigt. Und davon erhoffe ich mir, dass ich in den nächsten Jahren vielleicht auch mehr Zeit habe, mich mit mir selbst auseinandersetzen zu können, vielleicht einen noch besseren Überblick darüber zu gewinnen, wie ich bin und wo ich stehe. Es wird immer eine Entwicklung geben, hoffe ich, und ich hoffe auch, dass sie immer überschaubarer wird und dass ich mich dadurch vielleicht besser über mich selbst äußern kann. Ja, vielleicht sollte ich mich in einem ersten Selbstporträt ausdrücken, es im Raum installieren und mich sozusagen selber anschauen, um es dann womöglich zu verwerfen und eine neue Version anzugehen.